Grausames Experiment: Was passiert mit einem Blog, das man nicht mehr füttert, sondern sich selbst überlässt, in den unendlichen Weiten des Netzes? Ich fühlte mich in den letzten drei Monaten wie eine Rabenmutter, die ihr Kind dem Verhungern preisgibt. Doch der Blick in meine Blog-Statistik tröstet: Immer wieder haben Menschen hier vorbeigeschaut, die meisten auf der Suche nach Haussanierungs-Tipps. Es waren die Altbau-Fans, die über die Durststrecke hinweg das Blog am Leben erhalten haben, während die Bloggerin (also ich) in Gedanken und Taten auf ganz anderen Feldern unterwegs war und die Haussanierung mit nicht einmal halber Kraft voran brachte. Zwei Zimmer und Bad im ersten Stock sind nun fast fertig, immerhin.
Doch nicht nur ich habe das Haus verändert, sondern die Haussanierung und das Blog auch mich, meine Rolle in der Stadt Sankt Goarshausen und sogar meine berufliches Selbstverständnis. Es ist unmöglich, hier sämtliche Gründe aufzudröseln, die zu der bevorstehenden Veränderung geführt haben. Deshalb nur ein kurzer Rückblick, aus dem klar werden sollte, warum das Blog und das Hausprojekt heute so anders laufen als anfangs gedacht.
Plötzlich politisch
Als ich vor gut zweieinhalb Jahren dieses Weblog begann, war ich auf der Suche nach Abenteuer, Expansion und Schönheit. Das Haus mit dem atemberaubenden Ausblick auf den Rhein und die Loreley war da genau das Richtige. Doch ein Haus und erst recht ein Reihenhaus kann man nicht nur isoliert betrachten. Und so machte ich mir bald Gedanken über das Umfeld, die Nachbarschaft, die Industriebrache in Sichtweite, die Wirtschaftskraft des Ortes und den schlechten Zustand vieler anderer Häuser.
Über diese Themen habe ich mit den Nachbarn gesprochen, dann mit Stadtratsmitgliedern und anderen Engagierten. Und das führte mich – zwangsläufig, wie mir schien – in die Lokalpolitik.
Das Blog aber blieb von politischen Themen frei. Ich wollte keineswegs das mir entgegengebrachte Vertrauen aufs Spiel setzen und als Plaudertasche die Vorurteile bestätigen, die es ohnehin gegen Journalisten gibt.
Außerdem findet das Blog ja – siehe oben – bei Altbaufans und Haussanierern sein Publikum.
Sinnvolle Beschränkung oder Schere im Kopf?
Allerding spricht auch einiges gegen die freiwillige Selbstbeschränkung. Das Blog verliert, wenn ich die Themen, die mich am stärksten beschäftigen, unter Verschluss halte. Der Blogtitel und die ersten Beiträge zeigen, dass das Blog sich ursprünglich keineswegs auf Häuser und erst recht nicht auf ein Haus beschränken sollte.
Außerdem, die wichtigsten Entscheidungen im Prozess dieser Haussanierung sind getroffen und größtenteils umgesetzt. Dachausbau, Grundrissänderung, Dämmung, Lüftung, Heizung, Putz, diese Themen habe ich erörtert, meine Entscheidungen und Erfahrungen dazu jeweils in Wort und Bild dokumentiert und viel Feedback bekommen.
Unterdessen hat die starke Migration die politische Lage in Deutschland und Europa grundlegend verändert. Die demografische Entwicklung, die noch vor anderthalb Jahren Städten wie dieser den Garaus zu machen drohte, muss nun völlig neu berechnet werden. Neue Chancen und Aufgaben erwachsen daraus. Und deshalb: so unpolitisch, nur über das Häuschen zu berichten, muss dieses Blog nicht sein.
Das Haus bleibt weiterhin Thema, aber ich werde mir mehr Freiheit gönnen, auch über andere Themen zu schreiben. Es wird politischer und sicher auch persönlicher.
In viereinhalb Tagen beginnt ein neues Jahr. Der ideale Zeitpunkt, etwas Neues zu beginnen. Aber vielleicht geht es sogar schneller. Deshalb wünsche ich jetzt noch nicht „Guten Rutsch“.
Das Beitragsbild
zeigt einen Maschinentelegrafen. Ich habe es im Museum der Deutschen Binnenschifffahrt in Duisburg aufgenommen.
Mit dem Maschinentelegrafen wurden die Kommandos („Volle Kraft voraus!“, etc.) von der Kommandobrücke in den Maschinenraum übertragen und dort, wenn alles glattging, ausgeführt. Hier steht der Zeiger auf „halbe Kraft voraus“. Das ist aber nicht das Motto für das kommende Jahr.